Dann schwieg er. Der Anrufbeantworter schwieg ebenfalls und warf Frederik nicht hinaus. Vielleicht war auch der Anrufbeantworter von dieser Nachricht überrumpelt, aus seiner teilnahmslosen, gleichmacherischen Bahn geworfen, vielleicht wusste auch der Anrufbeantworter nicht, was nach einer solchen Nachricht zu tun ist, deshalb tat er aus Versehen genau das Richtige, nämlich aufzeichnen.
Luise
Spiegel-Beststellerlisten verfolge ich nur selten. Bücher, die sich gut verkaufen, müssen nicht zwingend gut sein bzw. mir per se gefallen und meine „Read Before You Die“- oder zumindest „Read Before You Turn 50“- Bucketlist ist ohnehin ausreichend gefüllt. Manchmal siegt aber doch die Neugierde: Was man von hier aus sehen kann war 65 (!) Wochen lang Spiegel-Bestseller und Lieblingsbuch 2017 der unabhängigen Buchhändler. Alles nur Hype oder doch Jahrhundertroman?
Von Okapis, Liebe, Tod und einem Dorf im Westerwald
Der Roman gliedert sich in drei Teile und die Geschichte wird von der jungen Luise in der Ich-Perspektive erzählt. Luise ist im ersten Teil 10 Jahre und lebt mit ihrer Familie in einem Dorf im Westerwald in den 1980er Jahren. Ihre Familie, das sind ihre Eltern, die Großmutter Selma, deren Freund „der Optiker“, ihr bester Freund Martin und Alaska, der Hund ihres Vaters. Im Dorf leben noch weitere mehr oder weniger skurrile Menschen, die miteinander in Beziehung stehen. Man kennt sich, man duldet sich, man hilft sich. Selma ist der rote Faden der Geschichte, der alles zusammenhält. Wenn Selma von einem Okapi träumt, wird in den nächsten 24 Stunden jemand sterben und mit diesem Traum beginnt der Roman. Die Leute im Dorf gehen teils mit Abwehr, teils mit irrationalem Verhalten damit um und der Tod begleitet die Menschen an diesem Tag auf verschiedene Weise.
Der zweite Teil des Romans macht einen Zeitsprung – Luise ist jetzt 22 Jahre alt und macht eine Ausbildung zur Buchhändlerin. In Rückblenden erfährt der/die Leser*in, was sich vor 12 Jahren ereignet hat. Die erwachsene Luise lernt auf der Suche nach Alaska den buddhistischen Mönch Frederik kennen und verliebt sich ihn in. Diese Liebe und die Sehnsucht nach Frederik bestimmen diesen Teil des Buches. Die Menschen in Luises Umfeld reagieren wieder auf ihre eigene, spezielle Art und Weise. Die Heldin und ihre Unsicherheiten stehen im Zentrum der Erzählung, aber auch die anderen Figuren haben ausreichend Platz für Handlung.
Der Erzählwechsel von der erwachsenen Luise zur 10-jährigen Luise markiert den Übergang zum dritten Teil des Buches, in dem wieder ein paar Jahre vergangen sind. Hier gleitet die Erzählung noch mehr ins Absurde ab als bisher. Es geht zwar immer noch um Luises Träume und nicht-Träume, aber der Tod rückt wieder ins Zentrum des Geschehens und sorgt für Veränderungen.
Von Aufhockern und Verstockungen
Mariana Leky erzählt ihre Geschichte mit viel Humor und schafft es, Figuren zu erschaffen, die trotz ihrer Macken und Fehler liebenswert sind. Und hier kommt auch meine erste Kritik: Zwar haben die Menschen in der Geschichte alle Ecken und Kanten, diese werden von der Ich-Erzählerin allerding hinter einer pastellrosa Brille wahrgenommen. Was im ersten Teil des Romans noch rührend ist, weil hier ein kleines Mädchen seinen Blick auf die Welt wiedergibt, wirkt im zweiten und dritten Teil zu eindimensional und unreflektiert. Natürlich ist das Luises Art und ihre Kritik an der Welt und den Menschen ist zwischen den Zeilen erahnbar. Ich weiß auch nicht, ob Lekys durchaus gekonnter Schreibstil mehr Reflexion zulassen würde. Dialoge wie
Als Andreas mir eines Morgens, bevor er in die Kreisstadt fuhr, einen Kuss auf die Stirn gab, einen flüchtigen Kuss, wie die mittlerweile fast komplett ausgetauschten Leute in Selmas Serie das taten, sagte ich, dass ich ihn verlassen müsse. Andreas stellte seinen Rucksack ab und schaute mich an, keineswegs überrascht, als habe er seit langem damit gerechnet. ‚Und warum?‘, fragte er trotzdem und zählte die Pläne auf, die er gemacht hatte. ‚Warum?‘ frage er noch einmal, und weil mir nichts Besseres einfiel, sagte ich: ‚Weil ich für die sieben Weltmeere gemacht bin.‘
Luise
haben ihre Stärke, werden nach 100 Seiten aber anstrengend, da sonst nichts mehr kommt. Die ausgetauschten Leute aus Selmas Serie oder die „sieben Weltmeere“ ziehen sich durch das Buch und wiederholen sich. Wiederholungen sind ein von Leky gern eingesetztes Stilmittel und schaffen Atmosphäre. Mir sind allerdings Elsbeths „Aufhocker“ in Form von Nackenschmerzen oder Luises „Verstockung“, wenn sie mal wieder nicht loslassen kann, zu viel des Guten.
Der Erfolg gibt Mariana Leky Recht. Viele Menschen hat das Buch und Luises Geschichte berührt. Ich wünschte aber, Luise hätte mehr auf ihren Vater gehört. „Ihr müsst mehr Welt hereinlassen“, fordert er immer wieder. Von mir gibt es dennoch eine Leseempfehlung – schöne Sätze, schöne Sprache und der Rest ist eben Geschmackssache.
Quelle: Leky, Mariana: Was man von hier aus sehen kann. Köln: Dumont 2019