Ich habe nichts zu gewinnen; aber ein unschätzbares Guth zu verlieren. Meine Freyheit. Welch ein großes, seelenerhebendes Wort! Wo gäbe es ein Glück ohne sie! Wo gäbe es einen Schmerz, den sie nicht linderte. Wenn mich alles verläßt, dann wird mein Herz mir die Welt.
Wilhelmine
Caroline Auguste Fischer. Noch nie gehört? Keine Angst, hier klafft keine Bildungslücke, denn als Reaktion auf diesen Namen hörte ich bisher nie: „Ach ja, das war doch die, die um 1800 zunächst anonym und dann unter schwierigsten Bedingungen über die Position der Frau in der Gesellschaft schrieb. Findest Du nicht auch, dass sie ihrer Zeit weit voraus war?“
Tatsächlich finde ich das. Die Honigmonathe ist ein Briefroman, in dem sich zwei in ihren Lebensentwürfen unterschiedlichen Freundinnen und die befreundeten Männer Olivier und Reinhold über Liebe, Ehe und ihren Platz in der Gesellschaft austauschen. Entdeckt habe ich das Buch, als ich im Rahmen meines Studiums eine Hausarbeit zu Literaturanthropologie im 18. Jahrhundert schreiben sollte und mir die vorgeschlagene Literatur deutlich zu männerlastig war. Das soll heißen, unter den aufgeführten Literaturvorschlägen war nicht eine Frau. Der kleine elitäre Zirkel, der schreiben und publizieren konnte, war ein den Männern vorbehaltener. Frauen konnten sich bestenfalls durch ihre berühmten Ehemänner Zugang verschaffen, wie etwa Dorothea Schlegel, oder sie veröffentlichten ihre Werke anonym. Ich ging also auf die Suche und wurde fündig: Unter den doch zahlreich schreibenden Frauen, fand ich Caroline Auguste Fischer besonders faszinierend.
Caroline Auguste Fischer
Fischers Biografie ist interessant, denn sie passt nicht so ganz in ihre Zeit. In erster Ehe ist sie mit dem dänischen Philanthropen Johann Rudolph Christiani verheiratet und bewegt sich in Kopenhagen im bildungsbürgerlichen Milieu. Eine gemeinsame Tochter verstirbt, der Sohn bleibt nach der Scheidung bei seinem Vater. Fischer geht daraufhin nach Dresden und beginnt zu schreiben. Ihr Erstlingswerk Gustavs Verirrungen erscheint anonym und der Erfolg bringt der Autorin einen gewissen Bekanntheitsgrad. In Dresden lernt sie auch den sieben Jahre jüngeren Christian August Fischer kennen und lieben. Trotz des gemeinsamen Sohnes lebt das Paar getrennt. Eine Liebesbeziehung mit einem jüngeren Mann zu Beginn des 19. Jahrhunderts – Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um hier einen waschechten Skandal zu wittern. Das Paar heiratet schließlich doch und die Ehe wird nach sieben Monaten wieder geschieden. Dieses Mal bleibt der gemeinsame Sohn bei der Mutter, die bis zu ihrem Tod den Lebensunterhalt durch Schreiben, Unterhaltszahlungen von ihrem Ex-Mann, als Leiterin eines Erziehungsheims und als Buchhändlerin bestreitet.
Caroline Auguste Fischer konnte auf zwei gescheiterte Ehen zurückblicken: eine standesgemäße Zweckheirat und eine Liebesheirat. Beide erfüllten nicht ihr Versprechen der Ewigkeit. Die Figuren in ihren Werken suchen ihren Platz in der Welt zwischen Konvention und Sehnsucht und damit ist Fischer ein Kind seiner Zeit. Wenn sie jedoch über Liebe, Ehe und das Scheitern der Ideale an ihren Ansprüchen schreibt, kann sie jenseits des zeitgenössischen Geschlechterdiskurses auf ihren eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen.
Die Honigmonathe – Vorsicht Spoiler
Die Handlung in Die Honigmonathe wird durch den Briefwechsel zweier Frauen und Männer erzählt. Der Briefroman war eine beliebte Erzählform unter den Autorinnen, denn im Gegensatz zur hohen Literatur wie Epos und Tragödie, galt der Roman als so wenig beachtenswert, dass selbst Frauen ihn schreiben durften.
Die tugendhafte Julie soll nach dem Willen ihrer Mutter mit ihrem Vormund, dem Oberst Olivier, verheiratet werden. Für diesen ist Julie zunächst nichts weiter als eine Frau von vielen, doch schließlich verliebt er sich leidenschaftlich in sie. Julies unabhängige Freundin Wilhelmine versucht, Julie vor einer Hochzeit mit dem ungeliebten Olivier zu warnen und steht dabei im Briefwechsel mit Reinhold, Oliviers Freund, der als Bewunderer Wilhelmines zwischen ihr und seinem Freund steht. Ihrem Pflichtgefühl nachgebend, heiratet Julie Olivier, obwohl sie in dessen Pflegesohn, den jungen Italiener Antonelli, verliebt ist. Olivier, der davon weiß, reagiert mit krankhafter Eifersucht und schottet Julie von der Außenwelt ab. Antonelli versucht jedoch alles, um sich Julie zu nähern, was die Eifersucht Oliviers nur noch verschlimmert. Als schließlich der König, der ebenfalls an Julie interessiert ist, seinen Besuch ankündigt, sperrt Olivier Julie in eine Burg. Als Antonelli den Aufenthaltsort Julies entdeckt, kommt es zum Streit und Olivier tötet Antonelli. Der Oberst folgt daraufhin dem König in die Schlacht und wird von einer Kugel getroffen. Während Julie nicht wieder heiratet und Witwe bleibt, heiratet Wilhelmine einen italienischen Landmann.
Die Erfindung der Ehe auf Zeit
Da gibt es also die tugendhafte, pflichtbewusste und dem weiblichen Ideal der Zeit entsprechende Julie auf der einen Seite. Wilhelmine dagegen ist finanziell unabhängig und greift das bürgerliche Frauenbild an, indem sie gar nicht daran denkt zu heiraten. Für die Schweiz, in der sie lebt, hat sie ebenfalls wenig übrig und auch die Menschen dort können ihre Sehnsucht nach Wärme und Nähe nicht befriedigen. Sie träumt davon, in Italien ein „geistvolleres, lebendigeres Volk“ zu finden und sehnt sich nach einem Kind. Wilhelmine hat auch schon einen Plan, wie sich dieser Wunsch umsetzen ließe, ohne dabei ihre Selbstbestimmtheit aufzugeben.
In Italien gibt es noch Menschen, die Liebe verstehen. Bauer, oder Bürger, einerley! ‚Mein Freund – sage ich dann – gefalle ich dir; so mögte ich wohl auf ein Jahr der fünf deine Frau werden. Sind wir glücklich; so geben wir noch vier Jahre zu. Dann drey, dann zwey, und zuletzt hast du die Freyheit, dich alle Jahr von mir zu trennen.‘ […] Denke Dir! alle fünf Jahre eine neue Hochzeit! Welch ein Familienfest!
Caroline Auguste Fischer lässt Wilhelmine auch die Kinderfrage klären. Sie stellt von vornherein klar, dass die Kinder in jedem Fall bei ihr bleiben würden.
Ist er damit zufrieden, dann mag er nach den ersten fünf Jahren schon weiter ziehen, und den größten Theil meiner Reichthümer mitnehmen. Ich bleibe jedoch reicher als er. […] Ich würde für ihn braten und kochen, ihn warten und pflegen und alles, was mir an Freuden bekannt wäre in unserm Hause versammlen. Aber, die Kinder gehören mir! damit wecke ich ihn Morgens, und die Kinder gehören mir! wiederhole ich ihm des Abends, und wenn er das nicht vertragen kann; so zieht er weiter; oder zieht gar nicht, weil er nicht kommt.
1802: Eine alleine lebende, geschiedene Schriftstellerin hat eine uneheliche Beziehung zu einem jüngeren Mann (das betone ich immer wieder, weil alleine diese Tatsache schon ein Skandal für sich war) und stellt in ihrem Roman höchst radikal das bürgerliche Ehemodell in Frage. 2021: Paare unterzeichnen immer noch einen lebenslangen Vertrag, der in mehr als einem Drittel der Fälle gebrochen wird. Übrigens formuliert Goethe erst sechs Jahre später einen ähnlichen Ansatz in Die Wahlverwandtschaften. Ob er sich von Caroline Auguste Fischer inspirieren ließ, steht in den Sternen. Ich behaupte aber ja. Wie schön wäre es, wenn zukünftige Schüler*innen Die Honigmonathe genauso gewissenhaft zerpflücken würden wie Goethes Die Leiden des jungen Werthers. Doch dafür ist der Kanon leider immer noch zu männlich.
Quellen:
Fischer, Caroline Auguste: Die Honigmonathe. Hamburg: tredition 2012
Hilmes, Carola: Skandalgeschichten. Aspekte einer Frauenliteraturgeschichte. Königsstein: Ulrike Helmer, 2004
Kügler, Clementine: Caroline Auguste Fischer (1764 – 1842). Eine Werkbiographie. Berlin: Dissertation FU Berlin 1989